Tactile Paintings / Tactile Exhibits

Kunst und Ausstellungen für blinde und sehbehinderte Menschen erlebbar gemacht

Zusammenfassung des Vortrags bei OCG Horizonte vom 19.06.2012, Vortragender Andreas Reichinger

Viele Exponate in Museen und Galerien sind dazu bestimmt, visuell erfasst zu werden. Menschen mit Sehbehinderung bleibt dieser direkte Zugang weitgehend verschlossen. Während verbale Beschreibung die wichtigste Form der Vermittlung darstellt, sind viele Aspekte (z.B. Positionen, Relationen, Zusammenhänge) nur sehr schwer zu erklären. Taktile Hilfsmittel sind eine willkommene Ergänzung. Diese wurden bislang meist in aufwändiger Handarbeit hergestellt. Ziel unserer Projektreihe ist es, die Erstellung von Tastmodellen durch den Einsatz digitaler Design Tools, 3D Scanning und Rapid Prototyping zu vereinfachen. Im Sinne der “Design for All” – Philosophie wollen wir somit helfen, Kunst und Ausstellungen “für alle” zugänglich zu machen.
Die Projektreihe besteht aus den Projekten Tactile Paintings (2010), Tactile Exhibits (2011) und wird Ende 2012 mit dem FWF-Projekt “Deep Pictures: Creating Visual and Haptic Vector Images” fortgeführt.

Tactile Paintings
Gemeinsam mit dem Kunsthistorischen Museum Wien wurde 2010 ein Workflow zur Umwandlung von Gemälden in taktile Repräsentationen entwickelt. Zweidimensionale Kunst, ursprünglich für sehende Menschen gemacht, soll somit auch für blinde und sehbehinderte Menschen erlebbar werden. Der Fokus liegt darauf, den Künstler so weit als möglich beim Umwandlungsprozess durch geeignete computergestützte Methoden zu unterstützen, und die Produktion mittels Rapid-Prototyping zu vereinfachen.
Der Workflow besteht aus drei aufeinander aufbauenden Schritten:

Im ersten Schritt werden wichtige Strukturen identifiziert, wobei Liniengrafiken entstehen, welche die Bilder in semantisch sinnvolle Einheiten unterteilen. Diese Zeichnungen, vektorisiert und mit verschiedenen Füllmustern verdeutlicht, können für Taktile Diagramme verwendet werden.

Die zweite Stufe berücksichtigt die Bildtiefe, ein wichtiger Bestandteil figurativer Gemälde. Das menschliche Auge ist darauf trainiert, diese versteckte dritte Dimension zu dekodieren, während der taktile Sinn bereits dreidimensionalen Input erwartet. Ein eigens entwickeltes, intuitives User Interface erlaubt es dem Künstler, Tiefenrelationen einzuzeichnen. Die Software weist dabei jedem Objekt eine passende Tiefe zu. Das resultierende, diskrete Tiefenbild wird in Schichten konvertiert, die aus flexiblen Kunststofffolien mittels Laser-Cutter geschnitten, und aufeinander geklebt werden. Es entstehen sogenannte “Layered Depth Diagramme”.

In der dritten Stufe wird Texturinformation aus den Gemälden mit einstellbaren Filtern extrahiert (ähnlich zu Verarbeitungsschritten im menschlichen Auge), und sodann über die Layered Depth Diagramme gelegt. Die dadurch entstehenden “Textured Reliefs” können mit computergesteuerten CNC-Fräsmaschinen hergestellt werden. Von einem Negativabdruck können dann mehrere Kopien gegossen werden. Etliche Materialien wurden getestet, bis ein strapazierfähiges, schmutzabweisendes und ansprechendes Material gefunden wurde.

Das Projekt wurde von KulturKontakt Austria im Auftrag des BMUKK gefördert. Vier Textured Reliefs mit Begleitbroschüre in Brailleschrift sind bereits verfügbar, und werden bei Spezial-Führungen gemeinsam mit zusätzlichen Materialproben angeboten.

Tactile Exhibits
In diesem Projekt wurde gemeinsam mit ArteConTacto und dem Institut für Kunst und Gestaltung der Technischen Universität Wien die aktuelle Sonderausstellung “In Arbeit” des Technischen Museums Wien nach dem “Design for All”-Prinzip erweitert. Neben einem taktilen Leitsystem, einem eigenen Audio-Guide und tragbaren Mappen mit taktilen Drucken, wurden maßstäbliche Repliken von Exponaten erstellt, die entweder zu groß sind um durch Ertasten in ihrer Gesamtheit erfasst werden zu können, oder aus konservatorischen Gründen nicht ertast werden dürfen.

So wurden etwa Messer aus dem 19. Jahrhundert vor Ort mittels kontaktfreier Laserscan-Methode dreidimensional erfasst, um die Originale nicht zu beeinträchtigen. Die taktilen Versionen wurden im Maßstab 1:1 in einer Relief-Darstellung wiedergegeben. Diese hat im Gegensatz zur vollständigen 3D-Darstellung Vorteile hinsichtlich Robustheit, Produktion und Datenaufbereitung und ist laut Evaluierung gut zu verstehen. Die Reliefs wurden, passend zum Ausstellungsdesign, aus transparentem Acrylglas mittels CNC-Fräsmaschine submillimeter genau herausgearbeitet und direkt bei den Originalen aufgestellt.

Um das gesamte Ausstellungskonzept vermitteln zu können, und einen Überblick über die Ausstellungsräumlichkeiten zu ermöglichen, wurde für den Eingangsbereich ein taktiles dreidimensionales 1:50 Modell der gesamten Ausstellung entwickelt. Eine taktile Typologie erlaubt die Unterscheidung von Wänden, Fenstern, Ausstellungsobjekten und Sitzgelegenheiten mittels verschiedener Symbole und Höhen. Das Modell beinhaltet auch das darunter liegende Stockwerk, mit maßstäblichen Repliken einiger Exponate zum Thema Schwerindustrie. Diese wurden photogrammetrisch erfasst und mittels 3D-Druck gefertigt.

Ausblick
Die taktilen Medien werden von sehbehinderten Besuchern sehr gut aufgenommen, werden aber genau so gerne von sehenden Besuchern und vor allem von Kindern verwendet. Wir konnten mit den beiden Pilotprojekten einen breiten Einblick in die Produktions- und Designmethoden gewinnen, und erste Tools entwickeln. In dem vom FWF geförderten Forschungsprojekt “Deep Pictures” wird die Entwicklung nun fortgesetzt, mit dem Ziel, den Designprozess effizienter und kostengünstiger zu gestalten und gleichzeitig optimale taktile Hilfsmittel zu erhalten.

Vortrag von Hr. DI (FH) Andreas Reichinger, VRVis bei den OCG Horizonte vom 19.6.2012

Vortrag von Hr. DI (FH) Andreas Reichinger, VRVis bei den OCG Horizonte vom 19.6.2012

Kontakt:
Andreas Reichinger
andi@nullvrvis.at
http://www.vrvis.at/projects/tactile-paintings

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