Psychoanalyse, Simulation und Roboter

Psychoanalyse & Computer, Psychoanalytiker & Ingenieure – Kann man die Modelle von Sigmund Freud auf dem Rechner simulieren? Was sind die Konsequenzen und die Möglichkeiten?

Ein Forschungsprojekt der Technischen Universität Wien mit Wissenschaftlern der Psychoanalyse aus Wien und Kapstadt

Zu diesem Thema werden bei den nächsten OCG Horizonte am 5.12.2012, im Hotel am Stephansplatz, Herr o.Univ. Prof. Dr. techn. DI Dietmar Dietrich und Univ. Ass. Dr. techn. DI Dietmar Bruckner einen Vortrag halten.

Kann man die Psyche modellieren? Zu unserer ersten Vorstellung des psychoanalytischen ARS-Modells ernteten wir Skepsis. Ist sie wirklich modellierbar? Ist das Freudsche Konzept noch aktuell? Techniker als Kooperationspartner für Psychoanalytiker? Und umgekehrt? Bleibt die Ethik auf der Strecke? Wir theoretisierten, modellierten, programmierten weiter und präsentierten auf internationalen Tagungen unserer Community, um uns der Kritik zu stellen. Das Ergebnis ist ein Funktionsmodell der menschlichen Psyche. Basis ist die Freudsche Theorie mit dem Ziel, das Subjekt zu “modellieren”. Weitere Themen sind nun: Objektbeziehung, Lernen,  (Geschlechts-) Identität, verbale und nonverbale Kommunikation, Übertragung und Vieles mehr. Im Modell können alle psychoanalytischen Theorien berücksichtigt werden, sofern sie bestimmten wissenschaftlichen Kriterien folgen. Unsere Erfahrung zeigt, dass sich derartige Theorien auf naturwissenschaftliche Basis stellen lassen. In unserem psycho-physiologischem Modell wurden Freud, Fenichel, Jacobson, Klein, Hartmann, Kernberg, Winnicott, Milrod, und Neurowissenschaftler wie Solms, Damasio, Panksepp berücksichtigt. Warum ist es dennoch so schwierig mit der psychoanalytischen Community zu diskutieren? Geht es um Vorurteile gegenüber Interdisziplinarität? Oder Angst vor Neuem? Oder sind es nur die Inhalte selbst?

Wir treten an sie heran, um die Anwendbarkeit psychoanalytischer Theorien darzulegen. Um sie für bisher Nichtdenkbares zu Öffnen. Wir stellen neue Forschungsergebnisse vor und zeigen, dass das Modell vielfältig anwendbar ist. Dabei geht es um Menschen und Maschinen (mit Gefühl und Bewusstsein), um die Modellierbarkeit psychischer Erkrankungen, um konkrete Use-Cases und prinzipiell um nichts Geringeres als auch die beiden großen Themen der Menschheit: Liebe und Hass besser zu verstehen.

Grundlegende Erkenntnisse

Das Forschungsprojekt wurde vor 12 Jahren initiiert. Eingeflossen sind bis jetzt 11 abgeschlossene Doktorarbeiten und zahlreiche Bachelor- und vor allem Diplomarbeiten. Eine entscheidendes Ergebnis, das man heute schon gut herausgearbeitet hat, ist die Erkenntnis, dass man das Gehirn und somit auch die Psyche mit Hilfe der modernen Informationstheorie der Computertechnik modellieren kann, wenn gewisse naturwissenschaftliche Prinzipien angewendet (und vor allem eingehalten) werden und das zweite, aber auch das erste topische Modell von Freud auf der Basis neuster Erkenntnisse der Psychoanalyse sowie Neurologie angewendet werden. Ohne diese Informationstheorie ist für das Wissenschafts-Team ein Modell solcher Komplexität naturwissenschaftlich nicht denkbar.

Fallbeispiel (für Design und Validierung)

In der Computertechnik ist bzgl. des Designs und der Validierung eine bestimmte Vorgehensweise ein Muss. Dazu zählt auch, dass die entsprechenden Anforderungen, am besten Fallbeispiele klar formuliert werden. Im vorliegenden Projekt ist es beispielsweise: Ein Mann und ein Schnitzel am Buffet. Eine Persönlichkeit in einer Auseinandersetzung mit sich selbst. Gelingt es uns, menschliche Charaktere, basierend auf Freuds Metapsychologie,

also funktional und nicht über eine Verhaltensbeschreibung

zu programmieren? Werden sich simulierte/emulierte Charaktere tatsächlich menschlich verhalten? Oder wie werden sie sich verhalten? Was wird passieren? Essen, Kampf und Hass?

Applikationen

Langfristig sollen ja Entscheider entwickelt werden, die Menschen – wie in der Automation generell – optimal ersetzen. Nach Damasio (USA) und Solms (RSA) basiert unser (intelligentes) Denken auf Gefühlen. Gefühle sind ein Bewertungsmechanismus des Bewussten, Emotionen des Unbewussten. Das bedeutet, erst wenn derartige Strukturen realisierbar sind, können automatisierte Entscheider auf hohem abstraktem Niveau geschaffen werden. Dann kann man sie aber überall einsetzen, wo Menschen heute an ihre Leistungsfähigkeit kommen: Sicherung von Gebäude und Flughäfen; Entscheider, wann solch welche Energie für Städte hochgefahren werden? Haushaltsroboter, Roboter in gefährlichen Bereichen, Einsatz in Krankenhäusern wie Hotels usw.

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Die Vortragenden

Das Wissenschafts-Team setzt sich zusammen aus Ingenieuren der Elektrotechnik und Informatik und Psychoanalytikern, die ein Modell und dafür einen Simulator des psychischen Apparates am Institut für Computertechnik (ICT) der TU Wien mit großer Unterstützung erfahrener PsychoanalytikerInnen wie Frau Dr. Elisabeth Brainin, Herrn Dipl.-Psych. Samy Teicher, Herrn Dr. Georg Fodor (Kapstadt) und nicht zuletzt Prof. Dr. Mark Solms (Kapstadt) entwickelt haben.

Dietmar Dietrich absolvierte das Abitur über den zweiten Bildungsweg, studierte in Karlsruhe Elektrotechnik und promovierte in Berlin. Er arbeitete in der Luftfahrttech­nik, später im Bereich der Telekommunikation. 1988 wurde er Professor an der FH Bielefeld, gründete das CAE-Institut in Beckum 1990 und übernahm 1992 den Lehrstuhl für Computertechnik an der TU Wien. Er gründete 1955 die internationale Feldbustagung FeT, die alle 2 Jahre bis 2009 in Korea stattgefunden hat. Institutsleiter war er ca. 10 Jahre bis 2008. Er ist Mitglied im IEEE/IES ADCOM, war TC Chair von TC BACM in IEEE, IEEE Chair Austria und OVE-Vizepräsident. Bzgl. der angesprochenen Thematik organisierte er 2007 mit Prof. Dr. Mark Solms (Gehirnforscher in Kapstadt) in Wien die Doppelkonferenz von NPSA (Neuropsychoanalysis und INDIN/IEEE), dessen Ergebnisse 2010 in  Springer-Verlag veröffentlicht unter „Simulating the Mind“ wurde.

Dietmar Bruckner maturierte in Karlstein in Automatisierungstechnik und absolvierte das Diplom- und das Doktoratsstudium der Elektrotechnik in Wien. Seit 2004 arbeitet er am Institut für Computertechnik der TU Wien, wo er seit 2007 die Forschungsgruppe Cognitive Automation und das ARS-Projekt leitet. Er ist IEEE-Senior-Mitglied und hat dort die Aufgaben des IES TC BACM Chair und Section Austria Chapter Coordinator übernommen. Er ist Associate Editor der IEEET on Industrial Informatics und organisiert internationale IEEE-Konferenzen in verschiedenen Positionen.

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