Meilenstein im Verfahren gegen die Vorratsdatenspeicherung

Bericht von Walter Hötzendorfer, OCG Forum Privacy,  31.07.2013

In seiner letzten Sitzung befasste sich das OCG Forum Privacy unter anderem mit dem aktuellen Stand der „Verfassungsklage“ gegen die Vorratsdatenspeicherung. Der neue Co-Leiter des Forums Christof Tschohl berichtete von der Anhörung in diesem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, an der er als Erstantragsteller im Ausgangsverfahren vor dem österreichischen Verfassungsgerichtshof (VfGH) persönlich teilgenommen hat.

Rückblende:
Als Reaktion auf die Anschläge von Madrid und London beschloss die Europäische Union 2006 eine schon jahrelang vorbereitete Richtlinie zur verdachtsunabhängigen Speicherung der Kommunikationsdaten aller Menschen in der EU. Der österreichische Gesetzgeber konnte sich letztlich der Pflicht zur Umsetzung der Richtlinie nicht entziehen und beschloss nach langer Untätigkeit die entsprechenden gesetzlichen Maßnahmen zur Vorratsdatenspeicherung in Österreich. Diese sind seit 1. April 2012 in Kraft.

Am 15. Juni 2012 reichte der AKVorrat.at durch Rechtswalt Ewald Scheucher beim VfGH eine Verfassungsbeschwerde gegen diese österreichische Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung ein. In einer beispiellosen zivilgesellschaftlichen Kampagne hatten sich dieser Beschwerde exakt 11.139 Personen angeschlossen, darunter mehrere Mitglieder des OCG Forum Privacy. Die Beschwerde war von Christof Tschohl mitinitiiert und ausgearbeitet worden, der zuvor als Mitarbeiter des Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte auch der federführende Experte bei der Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung in Österreich gewesen war. Im Zuge dieses Projektes sah er seine Ausgangsthese bestätigt, dass die EU-Richtlinie trotz aller Vorkehrungen letztlich nicht grundrechtskonform umsetzbar ist, und hatte sich entschlossen, gemeinsam mit Gleichgesinnten gerichtlich gegen die Vorratsdatenspeicherung vorzugehen. Unabhängig davon wurden von der Kärntner Landesregierung sowie von einem Mitarbeiter eines österreichischen Mobilfunkanbieters ebenfalls Beschwerden gegen die Vorratsdatenspeicherung eingebracht. Wie von den Beschwerdeführern erhofft, legte der VfGH die in allen drei Verfahren zu klärende Grundsatzfrage, ob die in der EU-Richtlinie vorgesehene verdachtsunabhängige flächendeckende Überwachung mit dem Grundrecht auf Datenschutz und Privatsphäre vereinbar ist, dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Auch aus Irland erreichte den EuGH bereits im Jahr zuvor ein solcher Antrag auf eine Vorabentscheidung zum selben Thema.

Für 9. Juli 2013 hatte der EuGH nun die Beschwerdeführer aus Österreich und Irland zur mündlichen Anhörung geladen. Ihren Plädoyers (nicht erschienen: die Kärntner Landesregierung) standen vonseiten der Befürworter der Vorratsdatenspeicherung Plädoyers von Vertretern der Europäischen Kommission, des Europäischen Rates und des Europäischen Parlaments sowie einiger Mitgliedstaaten, darunter Österreich, gegenüber. Christof Tschohl betonte, bei dieser Anhörung seien zum ersten Mal, seit er sich mit der Thematik der Vorratsdatenspeicherung beschäftige, die Befürworter dieser Maßnahme in der Defensive gestanden. Die Rechtfertigungslast liege nicht länger bei den Gegnern, sondern bei den Befürwortern, so wie es eigentlich schon bei der Einführung einer solch einschneidenden Maßnahme sein sollte. Besonders der für diesen Fall zuständige Berichterstatter innerhalb des 15-köpfigen Richtergremiums, der Deutsche Thomas von Danwitz, zeigte sich in der Sache bestens informiert und stellte den Befürwortern der Vorratsdatenspeicherung zahlreiche kritische Fragen, wobei manche davon unbeantwortet blieben. Richter von Danwitz ließ auch seinen Zugang zur Vorratsdatenspeicherung bereits durchklingen: „Man nimmt nicht einen Presslufthammer, um eine Nuss zu knacken, wenn ein Nussknacker reicht. Man schießt nicht mit Kanonen auf Spatzen. Es geht darum, Kollateralschäden zu vermeiden.[1] Zur Frage der Wirksamkeit der Maßnahme konnte lediglich Österreich konkrete Zahlen vorlegen. Von 1. April 2012 bis 31. März 2013 gab es hierzulande insgesamt 326 Zugriffe auf Vorratsdaten und diese wurden – entgegen der ursprünglichen Intention der Richtlinie – überwiegend zur Aufklärung von Diebstahl, Suchtmitteldelikten und Stalking eingesetzt. Ob es hingegen auch einen Fall von Terrorismus oder organisierter Kriminalität in dieser Statistik gibt, konnte der österreichische Vertreter nicht beantworten.

Bei der Anhörung wurde auch beleuchtet, dass die zur Vorratsdatenspeicherung verpflichteten Kommunikationsunternehmen die Vorratsdaten zumindest nach dem Wortlaut der Richtlinie auch in der Public Cloud speichern dürfen. Wie sich herausstellte, ist mehr als ein Drittel der europäischen Vorratsdaten tatsächlich in Drittstaaten gespeichert. Betrachtet man den weltweiten Hosting-Markt, kann davon ausgegangen werden, dass diese Daten überwiegend auf US-Servern liegen und wohl somit im Zuge des kürzlich enthüllten Überwachungsprogramms PRISM auch dem Zugriff von US-Behörden unterliegen. Ermöglicht wird dies durch die vielfach kritisierte Safe-Harbor-Vereinbarung zwischen der EU und den USA, die den bedeutenden US-Unternehmen der IT-Branche ein mit europäischen Standards vergleichbares Datenschutzniveau bescheinigt. Laut Christof Tschohl erwähnte der Vertreter der österreichischen Bundesregierung, Dr. Gerhard Kunnert, in seinem Vortrag bei der Anhörung sinngemäß, dass das Safe-Harbor-System aufgrund von PRISM seine Gültigkeit verloren habe und nicht mehr aufrechtzuerhalten sei. Dies ist sehr bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass es sich dabei um den offiziellen Standpunkt der österreichischen Bundesregierung handelt.

Unabhängig von diesem Zusammenhang, der wohl noch seine Kreise ziehen wird, mag die europäische Vorratsdatenspeicherung im Vergleich zu PRISM harmlos erscheinen. Das ist sie jedoch nicht. Beide Formen der verdachtsunabhängigen Überwachung sind aus Sicht des OCG Forum Privacy abzulehnen. Flächendeckende Überwachung führt dazu, dass ganz normale Bürger ihr Verhalten ändern, um nicht aufzufallen, und schränkt somit deren Freiheit zur informationellen Selbstbestimmung und deren Meinungsäußerungsfreiheit unverhältnismäßig ein. Zudem bergen Überwachungsmaßnahmen und insbesondere die Speicherung großer Datenmengen eine erhebliche Missbrauchsgefahr. PRISM geht in wesentlichen Punkten noch über die Intensität der europäischen Vorratsdatenspeicherung hinaus. Im Gegensatz zu dieser gewährt PRISM den Behörden direkten Zugriff auf die Daten, sodass PRISM zur Detektion von verdächtigem Verhalten mittels Methoden des Data Mining verwendet werden kann. Wie der Fall des Kanadiers Saad Allami zeigt, können Bürger daher aufgrund einer Kombination von für sich genommen harmlosen Verhaltensweisen in Verdacht geraten.[2] Der Vertriebsmanager wollte seine Kollegen per SMS für eine Verkaufsmesse in New York motivieren und schickte ihnen ein SMS mit den Worten, sie mögen die Konkurrenz „wegblasen“, woraufhin die Polizei seine Wohnung stürmte. Ein weiterer Unterschied ist, dass PRISM im Geheimen beschlossen und umgesetzt wurde, sodass eine zivilgesellschaftliche Kontrolle und ein gerichtliches Vorgehen wie nun im Falle der Vorratsdatenspeicherung bisher nicht möglich war.

Betreffend die Vorratsdatenspeicherung wird ein Ergebnis übrigens in ca. sechs Monaten erwartet: Der Generalanwalt wird bis 7. November seine Schlussanträge vorlegen, ein Urteil des EuGH folgt üblicherweise wenige Monate danach. Angesichts des Verlaufs der Anhörung ist Christof Tschohl diesbezüglich vorsichtig optimistisch. Er erwartet, dass die EU-Richtlinie nicht unverändert in Geltung bleiben wird. Die große Frage wird aber sein, ob die RichterInnen des EuGH das Konzept Vorratsdatenspeicherung an sich für grundrechtswidrig halten, oder nur die konkrete Art und Weise, wie die Richtlinie dieses Konzept umsetzt bzw. dessen Umsetzung an die EU-Mitgliedstaaten delegiert.

Interessierte sind herzlich eingeladen, sich am OCG Forum Privacy zu beteiligen. Das OCG Forum Privacy betrachtet Datenschutz als Schnittstellenmaterie und ist sehr an gemeinsamen Aktivitäten mit anderen Arbeitskreisen der OCG interessiert.

Links:


[1] Siehe auch die Wiedergabe des Zitats in den Medien, z.B. im Standard-online: http://derstandard.at/1371172127883/Vorratsdaten-EuGH-laesst-Zweifel-an-Richtlinie-aufkommen.

[2] Vgl. Bleich, Holger: „Globaler Abhörwahn“ in c’t, abrufbar unter http://www.heise.de/ct/artikel/Globaler-Abhoerwahn-1913829.html. Dieser Artikel ist generell sehr zu empfehlen.

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