Heinz Zemanek zum 95. Geburtstag

Der 1. Jänner war für die OCG immer ein besonderer Feiertag: Unser Gründungspräsident, Computerpionier Heinz Zemanek hatte an diesem Tag Geburtstag. Am 16. Juni 2014 ist Heinz Zemanek gestorben und konnte sein 95. Lebensjahr nicht mehr vollenden.

Heinz Zemanek, 2010, (c) OCG2015 wird die OCG 40 Jahre alt. Solche Jubiläen werden üblicherweise zum Anlass genommen, um Rückschau zu halten – Was haben wir erreicht? Was hat nicht so gut geklappt? – und um vorauszudenken – Was können wir in Zukunft besser machen? Wo gibt es neue Aufgaben für uns?
Auch da war der Dialog mit Heinz Zemanek von unschätzbaren Wert. Allerdings hat er uns ja einiges hinterlassen. In seinen Publikationen kann man sich immer Anregungen holen, findet originelle Gedanken und erstaunliche Ideen zu ganz aktuellen Problemen.

Daher wollen wir Heinz Zemanek zu uns sprechen lassen: Folgendes hat er der OCG zu ihrem 30jährigen Bestehen im Jahr 2005 ins Stammbuch geschrieben:

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30 Jahre OCG

Gewiss hat Österreich eine Computergesellschaft gebraucht. Ein Gerät wie der Computer, das vom exotischen Mammut zum täglich gebrauchten Werkzeug wurde (ohne seine innere, seine strukturelle Größe zu verringern), dessen Anwendung geradezu grenzenlos ist und vom Staat bis in Heim und Familie reicht, bedarf einer Kristallisation, einer Interessenvertretung, einer sozialen Sichtbarkeit. Die OCG wurde notwendig.

Die Gründung der OCG

Im Ganzen gesehen waren die Argumente für die Gründung vielschichtig, von der komplexen Natur der Informationstechnik und von den beteiligten Personen geprägt. Und dahinter stand die IFIP, die International Federation for Information Processing, an der ich seit 1959 mitgearbeitet hatte, von Beginn an als Beobachter, dann ab 1962 als Vorsitzender des Technischen Komitees für Programmiersprachen und ab 1971 als Mitglied des obersten Führungsgremiums, von 1971 bis 1974 als Präsident. Zu dieser Realität war eine österreichische Gesellschaft vielleicht nicht unbedingt erforderlich, aber natürlich wünschenswerte Abstützung.

Ein bisschen Dramatik, nicht ohne Element der Komik, lieferte der gescheiterte Gründungsversuch vom 16. Oktober 1972, als die Majorität der Proponenten die Gesellschaft nicht forcierten, sondern gegen sie stimmten. Sie belegten die Hinderungsaspekte mit Übergewicht, obwohl sie das Wünschenswerte der Unternehmung zur Teilnahme motiviert hatte. Es war Sektions-Chef Dr. Norbert Rozsenich, der dem zweiten Anstoß die Dynamik erteilte, die dann 1974/1975 doch zur Gründung führte.

Sehr hilfreich für die Realisierung war dabei die Doppelnatur der Gesellschaft: bestehende Vereine wie Einzelmitglieder sollten sie bilden. Erstere, um sie (die bestehenden Vereine) nicht zu Gegnern zu machen, und letztere, um eine direkt interessierte Mannschaft zu bekommen, Mitglieder, welche unmittelbar aktiv waren und nicht nur durch die Gegebenheiten der Vereine hindurch. Diese Struktur, von mir eher als kurzzeitiges Anfangskonzept angesehen, hat sich bewährt und funktioniert bis heute – ich wünsche ihr, noch viele Jahre weiter zu blühen, denn sie ist das Optimum, das vielen Sichtweisen Stimme gibt.

Die vielen Sichtweisen sind auch Folge der Ausweitung des Computers von der Rechenmaschine auf Textverarbeitung, auf die Handlichkeit des PC und seine globale Vernetzung. Die Doppelnatur aus Hardware und Software samt den unzähligen Anwendungen macht die Computerwelt zu einem Riesenreich, schließt aber auch Dschungel ein: Dickichtbereiche, in denen man leicht die Orientierung verliert. Auch hier kann eine Gesellschaft helfen.

Die Gründung war kein spektakulärer Kraftakt, sie war auf die Ausweitung ausgerichtet. Die Geschichte der vergangenen 30 Jahre ist teilweise geschrieben, teilweise wartet sie auf Abarbeitung, für welche Zeit und Abstand erforderlich sind. Aber drei Ereignisse und Leistungen möchte ich kurz aufzählen:

  • IFIP-Kongress 1998
    Ein international anerkanntes Großereignis war der IFIP-Kongress 1998, von der ungarischen John von Neumann-Gesellschaft und der Österreichischen Computer Gesellschaft organisiert, durch eine Reise von Wien nach Budapest verbunden, bis Komarom mit der Bahn und weiter per Schiff und einer malerischen Ankunft in Budapest.
  • Der Computerführerschein
    Eine außerordentlich wirksame Anstrengung der OCG war die Schaffung und Ausbreitung des Computerführerscheins, weit über Österreich hinaus, bei der auch der finanzielle Aspekt zufriedenstellend gelöst wurde. Eine einheitliche Ausdehnung auf ganz Europa, in die größere EU und über sie hinaus, wäre ideal, denn es geht hier um eine Dienstleistung für den einfachen Benützer, der in der allgemeinen Entwicklung leicht zu kurz zu kommen droht.
  • Das OCG Sekretariat
    Geschäftsstellen sind bei allen Organisationen kritische Zentren, wo viel zu leisten ist, aber auch so manches schief gehen kann. Die OCG fand, dank der Hilfe durch den Schatzmeister, Dr. Stöckelle [Anm.: Dr. Roland Stöckelle, WSR, Gründungsmitglied und langjähriges Vorstandsmitglied der OCG] ideale zentrale Räume in der Wollzeile, und Leiter und Mannschaft des Sekretariats durchliefen etliche Phasen, auch schwierige Zeiten. Die Präsidenten hatten es nicht immer leicht. Es scheint mir ein großes Verdienst des vorletzten Präsidenten, Prof. Tjoa [Anm.: Univ.-Prof. Dr. A Min Tjoa, TU Wien, OCG Präsident 1999 - 2003], gewesen zu sein, dass er in der Person des jetzigen Generalsekretärs [Anm,: Eugen Mühlvenzl, Generalsekretär der OCG von Nov. 1999 - April 2011] jemanden mit besten Voraussetzungen gefunden hat, so dass gute Arbeit geleistet wird. Ich wünsche dieser Arbeit eine ebenso gute Zukunft!

Bevor ich einen Blick auf diese Zukunft wage, noch eine persönliche, auf die Sprache bezogene Bemerkung: Ich bedaure das Nachgeben vor dem englisch-amerikanischen Alphabet durch OCG statt ÖCG (dem nun auch OVE statt ÖVE gefolgt ist), statt die korrekte Schreibung mit Ö durchzuhalten. Die Schädigung der Sprache beginnt bei anscheinend harmlosen Punkten und Bindestrichen, aber damit wird eine Unempfindlichkeit gegen Ärgeres eingerichtet.

Die Zukunft der OCG

Es geht hier nicht um Prophezeiungen, die einem Ingenieur nicht zustehen, sondern um Gedanken zur Gestaltung dieser Zukunft. Es sind ausgewählte Themen, schnell aus dem Ärmel geschüttelt. Schon anlässlich der 15-Jahr-Feier der OCG im Jahre 1990 habe ich vorgeschlagen, Sicherheitsvorschriften, Rechtsfragen, Sozialaspekte und Medizinische Informatik zu überlegen. Eine Menge ist getan worden und vielleicht wäre es angebracht, einmal Bilanz zu ziehen: wo waren die Erfolge, und wo sind weitere Griffe erforderlich oder wünschenswert?

  • Normierung
    Vernachlässigte Normierung verursacht viel vermeidbare Arbeit. Eine OCG-weite Erhebung von Normierenswertem und die Ausarbeitung entsprechender Vorschläge könnte gute Erfolge bringen.
  • Computer und Effektivitätsplanung
    Nicht in jeder Hinsicht bringt die Verbreitung der Computeranwendung Befriedigung und Effizienz. In der Tat sind mir kaum Computereinsätze zur Hebung der Arbeitseffizienz bekannt. Die heutige Neigung zu Sub-Firmen und Sub-Sub-Firmen führt zu Koordinationsschwächen – wie viele Baustellen kann man beobachten, auf denen wochenlang kein Arbeiter zu sehen ist? Gebäudeüberholungen dehnen sich ungebührlich aus. Und das ist nur eine Kategorie einschlägiger Beispiele. Auch hier könnte die OCG gute Erfolge erzielen, ja Durchbrüche.
  • Kultur des Schriftlichen
    Die Informationstechnik hat eine Verantwortung für die Kultur des Schriftlichen, denn mit ihren technischen Möglichkeiten gräbt sie den klassischen Informationswegen (z. B. der Post) den Boden ab. Die klassischen Institutionen müssten das merken, aber sie tun nur wenig, um sich die Kunden zu erhalten. So werden Postkästen im Durchschnitt pro Woche nur 4,75-mal ausgehoben und zu einer ungeschickten Zeit – welches Büro hat um 15:00 Uhr die Post unterschriftsbereit, damit sie vor 16:00 Uhr eingeworfen werden kann? Der Mensch wird ins Internet geschoben; dieses überträgt geradezu zeitlos und ist kostenlos.
    Aber der Bewusstseinszustand, auf den man sich beim E-Mail-Verfassen schaltet, ist jener des Telegrammschreibens und daher wird der Bildschirm zu einem Telegrammformular statt zu einem Briefpapier. Man sendet Information an sich, eine Kultur des Schriftlichen wird automatisch überflüssig. So müsste das nicht sein. Rein technisch gesehen, könnten wir Dürerzeichnungen übertragen. Hier setzt eine Verantwortung der Informationstechnik ein und damit der OCG: das Schriftliche sollte wieder eine kulturelle Seite bekommen. Kulturlose Normierungen wie die letzte Orthographiereform – mit einer Systematisierungsillusion und nicht gerade von ersten Fachleuten entworfen (die ersten Fachleute schrien aber auch nicht auf), eher von Unterrichtsnöten gesteuert – helfen da nicht, sondern bestärken den Verfall. Wie wäre es, wenn die OCG eine Initiative zur Wiedereinführung des Briefpapiers ergriffe? Das kann in mehr als einer Variante geschehen.
  • Der PC im Haushalt
    Wie viele Routinen der PC im Haushalt übernehmen könnte, ist noch kaum überlegt worden. Auch hier ist eine Initiative der OCG denkbar; und auch hier geht es um eine Dienstleistung für den einfachen Benützer.
  • Fernwirkung
    Wenn man einen Teilnehmer durch Fernwahl erreicht, ob per Telefon oder im Internet, ist Fernwirkung im Spiel, Schaltung auf Distanz. Es ist völlig klar, dass eines Tages weit mehr Telewirkungen beherrschbar sein werden. Das ist eine Frage der Normierung (siehe unter 4) und wird zuerst nur langsam vorangehen. Ich fürchte mich sogar ein bisschen davor. Aber es könnte eines Tages ein gewichtiges Projekt der OCG sein.

Schlusswort

In 30 Jahren ist auf unserem Gebiet enorm viel geschehen. Die Österreichische Computer Gesellschaft ist dabei gar nicht schlecht mitgekommen. Ich wünsche ihr, dass sie bis zu ihrem 50. Geburtstag ihre Wirkung nicht nur beibehält, sondern sogar noch verstärkt. Denn der Computer ist die dynamischste aller menschlichen Erfindungen; es ist mühsam, mit ihm mitzukommen. Aber extrem erforderlich.

Es tut mir Leid, dass ich zur Zeit der Jubiläumsveranstaltung in einem andern Kontinent war, alle meine guten Wünsche waren aber präsent und wurden von der Frau Präsidentin [Anm.: Univ.Prof. Dr. Gabriele Andert-Kotsis, JKU, OCG Präsidentin 2003 - 2007] dementsprechend bei dieser Veranstaltung vermittelt.

Gründungspräsident Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Heinz Zemanek (1920-2014)
[Heinz Zemanek: 30 Jahre OCG, erschienen in OCG Journal 2/2015, S. 5-6]

 

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